Studie untersucht Rolle von digitalen Anwendungen in Europas Krankenhäusern

Die Behandlung von Patienten außerhalb der Praxisräume mit Reduzierung des Infektionsrisikos oder die digitale Erstellung von Patientenakten: Diese Vorteile machen die Telemedizin in Zeiten einer globalen Pandemie eigentlich zum Muss. Dennoch fehlt oftmals eine geeignete digitale Infrastruktur etwa in Krankenhäusern oder Kliniken – mit der Folge, dass telemedizinische Anwendungen noch nicht überall verbreitet sind. Eine neue Studie untersucht nun die Frage, welche Faktoren dazu führen können, dass die Zahl der Telemedizin-Anwendungen in Europas Krankenhäusern zunimmt.

Telemedizin und die Digitalisierung des Gesundheitswesens sind gefragt wie noch nie.

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass digitale komplementäre Ressourcen in Krankenhäusern – etwa Videokonferenzsysteme – die Einführung von telemedizinischen Anwendungen stärker beeinflussen als das regulatorische Umfeld. Die Publikation, an der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM), der Universität Regensburg und der Technischen Universität Chemnitz mitgewirkt haben, ist kürzlich im renommierten „Journal of Management Information Systems“ erschienen.

„Während der COVID19-Pandemie besitzt die Frage, wie die Digitalisierung des Gesundheitswesens gelingen kann, mehr Relevanz denn je“, sagt Studienmitautorin Prof. Dr. Claudia Doblinger, Professorin für Innovation and Technology Management am TUM Campus Straubing für Biotechnologie und Nachhaltigkeit (TUMCS). Noch hinkten viele etablierte Gesundheitsorganisationen bei der Einführung von Telemedizin hinterher.

Gute Versorgung in strukturschwachen Regionen

Generell verfolgt die Telemedizin unter anderem das Ziel, die Patientenversorgung zu verbessern, etwa auf dem Land oder in Gebieten mit einer geringen Fachärztedichte. „Telemedizinische Anwendungen können sowohl die räumliche Distanz zwischen Patienten und Leistungserbringern als auch zwischen verschiedenen Leistungserbringern wie Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten überbrücken“, erläutert Studienleiterin Dr. Dr. Stefanie Steinhauser vom Lehrstuhl für Innovations- und Technologiemanagement an der Universität Regensburg. Auch in strukturschwachen Regionen müssten die Menschen medizinisch gut versorgt werden, heißt es beim Bundesgesundheitsministerium: „Hier kann Telemedizin eine Lösung sein.“

Bei ihrer Untersuchung von mehr als 1750 Krankenhäusern in 30 europäischen Ländern haben die Forscher herausgefunden, dass insbesondere digitale komplementäre Ressourcen der Krankenhäuser – beispielsweise elektronische Gesundheitsakten, Videokonferenzanwendungen oder Bildarchivierungs- und Kommunikationssysteme – einen wichtigeren Beitrag zur Adoption von Telemedizininnovationen (Teleradiologie, Telemonitoring und Telekonsultation) leisten als regulatorische Maßnahmen.

Regulatorische „Sandboxes“ schaffen

Prof. Dr. Claudia Doblinger

Prof. Dr. Claudia Doblinger, Leiterin der Professur für Innovation and Technology Management

„Unsere Ergebnisse untermauern die Bedeutung von kontinuierlichen Investitionen in die begleitende Infrastruktur, um digitale Innovationen verwenden zu können“, sagt Prof. Claudia Doblinger vom TUM Campus Straubing. „Und die Ergebnisse legen nahe, dass das regulatorische Umfeld anwendungs- und geschäftsmodellspezifische Effekte auf die Einführung von Telemedizinanwendungen haben kann“, berichtet Dr. Dr. Stefanie Steinhauser von der Universität Regenburg. „Hier könnten regulatorische ‚Sandboxes‘ – wie sie mitunter während der COVID19-Pandemie geschaffen wurden – helfen, um die spezifischen Auswirkungen verschiedener Arten von Regulierung zu testen und adäquate Regulierungen zu entwerfen.“

Die Studie ist auch vor dem Hintergrund des 2020 in Kraft getretenen Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) interessant, das nun in die Umsetzungsphase startet. So beschäftigt sich der Fördertatbestand 9 mit dem Ausbau von telemedizinischen Netzwerken, also „die Erbringung medizinischer und pflegerischer Leistungen (…) unter Einsatz audiovisueller Kommunikationstechnologien und digitaler Informationsübermittlung über räumliche Entfernung hinweg“.

Publikation: Stefanie Steinhauser, Claudia Doblinger and Stefan Hüsig: The Relative Role of Digital Complementary Assets and Regulation in Discontinuous Telemedicine Innovation in European Hospitals. Journal of Management Information Systems; 2020, Vol. 37, No. 4, 1155–1183; DOI: https://doi.org/10.1080/07421222.2020.1831778